5. Göttinger Workshop zur Literaturtheorie, 09.12.2005

Christoph Dennerlein

Korreferat zu Harald Fricke: Abweichungspoetik

Textgrundlage: Harald Fricke: Gesetz und Freiheit. Eine Philosophie der Kunst. München 2000, Kap. 3: Präzisierung der Grundbegriffe, S. 34-74.

1.          Zur Defintion des Literaturbegriffs

Nach den Bestimmungen 1 bis 9 (Gesetz und Freiheit, S. 36f.) hindert nichts im allgemeinen für nicht-literarisch gehaltene Texte wie die politische Rede, Werbesprüche und sogar unterhaltend vorgetragene Tatsachenberichte als literarische Texte zu qualifizieren. Kann die Definition für im herkömmlichen Sinn literarische Texte präzisiert werden?

2.           Text ohne Autor

Die Abweichungspoetik macht die Frage, ob ein Text literarisch ist, unabhängig von der Frage, welche kommunikativen Absichten sein Verfasser mit dem Text verfolgt. Sie betrachtet Texte als literarische Texte, wenn sie von der normalen Sprachverwendung poetisch abweichen, eine interne oder externe Funktion erfüllen, zu einer literarischen Textsorte und einem Genre gehören. Denken wir uns einen Text, der diese Bedingungen erfüllt, den sein Verfasser aber versehentlich zustande gebracht hat. Handelt es sich um einen literarischen Text?

3.          Falsifizierbarkeit

Die Abweichungspoetik klassifiziert einen Text als poetisch, wenn er von der Normalsprache auf die definierte Weise abweicht. Ein poetischer Text kann wiederum von literarhistorischen Quasi-Normen einer Textsorte abweichen (sekundäre Abweichung), indem er sich der Normalsprache bedient. Wir können dann in jedem literarischen Text mindestens einen der beiden Abweichungstypen finden. Ein Negativbeispiel eines literarischen Textes ohne Abweichungen wäre nicht möglich. Kann die Abweichungspoetik dann noch falsifiziert werden?

4.          Poetische Abweichung und literarische Bedeutung

Poetische Abweichungen machen Texte zu literarischen Texten. Aber welche Relevanz haben sie für die Bedeutung literarischer Texte?

5.          Kompatibilität mit anderen Literaturtheorien

Die Abweichungspoetik stellt keine Theorie für die Interpretation einzelner literarischer Texte bereit. Mit welchen Theorien literarischer Bedeutung ist sie kompatibel? Welche Bedingungen muss eine Theorie erfüllen, um kompatibel zu sein?

6.          Warum Werke?

In der Philosophie der Kunst werden ausschließlich Werke betrachtet und nicht Aufführungen von Werken (vgl. Gesetz und Freiheit, S. 20). Diese Bestimmung scheint zu eng: Abweichungen sind bei Aufführungen ebenso gut möglich wie bei Werken und können ebenfalls ästhetische Relevanz haben.