1. Göttinger Workshop zur Literaturtheorie, 27.05.2005

Felicitas Sedlmair

Performanz oder Inkongruenz?
Korreferat zu Uwe Wirth: Vorbemerkungen zu einer performativen Theorie des Komischen

1. Allgemeine Fragen an eine Performanztheorie (PT)

1.1 Zum Begriff: Was ist eigentlich Performanz?

 Die Etablierung verschiedener miteinander konkurrierender Performanzbegriffe macht eine klare Definition beziehungsweise eine eindeutige Bezugnahme auf einen der bereits existierenden Performanzbegriffe notwendig.

Die jeweils möglichen Performanzbegriffe positionieren sich in unterschiedlicher Weise zwischen den beiden semantischen Polen „Ausführung“ und „Aufführung“, fünf seien hier kurz genannt:

a) aus der Sprachphilosophie/Sprechakttheorie: performative utterances  (vs. constatives): Diese Äußerungen sind Sprechakte, sofern die hierfür notwendigen konventionalen Gelingensbedingungen erfüllt sind, und schaffen somit soziale Wirklichkeit.

b) aus den Theaterwissenschaften: Aufführung / performance / Inszenierungsbedingungen

c) daran angelehnt in den Medien- und Kommunikationstheorien: mediale Repräsentation und Inszeniertheit von Zeichen

d) aus der Ethnologie: cultural performance: das, was nichttextuell zur Darstellung kultureller Identität gebraucht wird (Rituale etc.)

e) aus den Gender Studies: die Inszenierung des sozialen Geschlechts

 

1.2 Zur Theorie

Steht die Begriffswahl fest, ist zu fragen: Was ist Anspruch/Ziel einer Performanztheorie? Worin besteht ihre literaturwissenschaftliche Relevanz?

Damit eine Theorie überhaupt als solche auftreten kann, müssen zudem noch allgemeinere Ansprüche erfüllt werden. In einer Auswahl möchte ich einige vorstellen:

(i)                 Jede Theorie hat einen Gegenstand.

(ii)               Die Theorie muss zeigen, dass sie für diesen Gegenstand das Kriterium der Adäquatheit erfüllen kann.

(iii)             Eine Theorie benötigt eine möglichst exakte Beschreibungssprache, um (ii) erfüllen zu können.

(iv)              Sie muss zudem präzise Bedingungen bereit halten (notwendig, hinreichend, gdw).

(v)                Für eine eindeutige Definition des Gegenstandes (i) sowie für die Bedingungen in (ii) und (iii) ist begriffliche Klarheit unerlässlich.

(vi)              Die Theorie muss in sich konsistent sein.

(vii)            Gegenüber konkurrierenden Theorien muss die Theorie gegebenenfalls ihre Überlegenheit demonstrieren können. Dies kann z. B. durch eine größere Extension von (i), eine höhere Adäquatheit, beispielsweise bestehend in einer angemesseneren Beschreibungssprache, und/oder in einer größeren Erklärungsmächtigkeit (z. B. die Erklärung einer größeren Anzahl von Phänomenen) geschehen.

 

2. Rekonstruktion der vorgestellten performativen Theorie der Komik (PK) von Uwe Wirth

Um die von Ihnen vorgestellte Theorie auf die ausgewählten Kriterien hin untersuchen zu können, soll hier eine Rekonstruktion Ihrer Thesen erfolgen. Da der meiner Auseinandersetzung zugrunde liegende Text jedoch mit eher assoziativ verknüpften Thesen denn mit klaren Schlussfolgerungen aufwartet, stellten sich mir einige Probleme, so dass ich eher von einem Rekonstruktionsversuch bzw. von meiner Lesart sprechen möchte.
[Nachträgliche Anmerkung: Die Wirth-Zitate entstammen einem unveröffentlichten Manuskript und weichen daher vom veröffentlichten Vortrag ab.]

(1) Performanz als optimaler Gegenstand der Beschreibungssprache für eine Komiktheorie:

 

Für das Entstehen von Komik sind konventionale Unglücksfälle zentral. Das Auftreten von Unglücksfällen ist etwas, was mit performativen Aspekten zu tun hat. Aus diesem Grund hilft eine Performanztheorie weiter als Grundlage einer Komiktheorie.

(2) Es gibt Sprechakte, die misslingen, weil gleichzeitig mehrere Gelingensbedingungen nicht erfüllt sein können.

(3) Es gibt eine Teilmenge der Menge von einander überlappenden Unglücksfällen, bei denen etwas entsteht: Lachen, Komik.

(4) Dies geschieht durch eine Erkenntnisleistung.

(5) Zur Konstitution von (3) ist Inkongruenz notwendig für witzkonstitutive Synthesen, aber noch nicht hinreichend: Ein Überlappen kann, muss aber nicht komisch sein.

(6) Die notwendige Spezifikation des „Überlappens“ besteht Ihrer Auffassung nach in der performativen Aufwandsdifferenz.[1]

(7) Im Regelverstoß des Misslingens kann ein überraschendes Gelingen liegen, das witzkonstitutiv ist.

(8) Die Komiktheorien sind sich einig im Inkongruenz-Ansatz (IK). Die Inkongruenz besteht gemäß Ihrer Auffassung in einem Rahmenbruch à la Goffman. Deshalb ist eine Analyse dessen notwendig, wie dieser Rahmenbruch zustande kommt. Der traditionelle Analysevorschlag postuliert eine Devianz von der Norm. Um eine Anwendung auf die „Performanztheorie“ durchzuführen, stellen Sie in Anlehnung an Austin und Searle drei Hypothesen zur genauen Art und Weise dieser komischen Regelverstöße auf:

(i) Überlappen semantischer Rahmen

(ii) Inszenierung eines performativen Widerspruchs

(iii) performative Aufwandsdifferenz (gewonnen aus (6))

Aus (iii) leiten Sie Ihre „zentrale These der Performanztheorie“ ab, die ich hier zitieren möchte:

(9) „Komik entsteht, sobald sich konventionale Unglücksfälle und performative Aufwandsdifferenz überlappen.“[2]

 

3. Überprüfung der PT auf diese Ansprüche

3.1 Überprüfung der zentralen These auf Ihr Zutreffen hin

Zunächst werde ich versuchen, die Gegenprobe auf Ihre These durchzuführen. Als erstes konstruiere ich einen Fall, indem Ihre geforderten Komponenten des konventionalen Unglücksfalls sowie der performativen Aufwandsdifferenz erfüllt sind, ohne dabei den von Ihnen vorhergesagten komischen Effekt zu erzielen. Durch eine Kontexterweiterung ist dies möglich, einen tragischen oder bestenfalls tragikomischen Effekt zu erzielen. Somit ist die These bereits in diesem Fall nicht hinreichend formuliert.

Um Ihre These zu erhärten, müssten zudem die Fälle 2-4 eine Situation hervorrufen, die nicht komisch ist. In Fall 3 und 4 ist jedoch auch das Gegenteil möglich, was wiederum dafür spricht, dass Ihre These zumindest keine Garantie für Komik bereithält. Fall 2 bleibt auch bei mir vage, hierfür ist mir kein Beispiel eingefallen.

 

 

Fall 1

Fall 2

Fall 3

Fall 4

Konventionaler Unglücksfall

+

+

-

-

Performative Aufwandsdifferenz

+

-

+

-

Ergebnis:

⌐k

?

k

k

Beschreibung des Falls:

Kontexterweiterung: Jemand, von dem man weiß, dass er alles falsch macht, macht gemäß der Erwartung auch alles falsch.
Effekt: tragisch? tragikomisch?

 

Taufe gelingt, der Priester lispelt. Ein komplizierter Sachverhalt wird in fast unverständlichem Dialekt vorbildlich erklärt.

Ein bekanntlich alkoholabhängiger Standesbeamter macht heute wider Erwarten alles korrekt.

                                              

 

3.2 Falsifizierbarkeit von Hypothese (i)

Auch das Überlappen semantischer Rahmen ist nicht hinreichend für das Entstehen von Komik, da unter denselben formalen Bedingungen auch Furcht entstehen kann.

 

4. Bewertung der performativen Theorie des Komischen

4.1 Was Ihre Theorie erfüllt

Ihre Performanztheorie eignet sich in jedem Fall als Hilfstheorie/Ergänzungstheorie im Rahmen einer Beschreibung einer Teilmenge des Komischen. Sie sollte sich dann aber eher eine performative Theorie des Witzes bzw. einer noch klareren Definition dieser Teilmenge des Komischen nennen.

 

4.2 Was Ihre Theorie nicht erfüllen kann

4.2.1 Begriffliche Unklarheiten

Performanzbegriff: Hier ist noch eine Disambiguierung notwendig, da Sie zwar mindestens drei Begriffe referiert haben, sich jedoch mit Ihrer Überlappungsthese bisher einer Festlegung enthalten haben. Was verstehen Sie unter Performanz?

Komikbegriff: Komik vs. Witz vs. Humor: Eine klare Definition von Komik wurde nicht vorgenommen, möglicherweise vermischen Sie verschiedene Ebenen, womit das Adäquatheitskriterium verletzt wäre. Folgende Fragen müssten also beantwortet werden: Wann genau ist eine Regelverletzung, eine Inkongruenz, ein Rahmenbruch komisch? Was ist ein Witz? Ist die Pointe konstitutiv für den Witz? Für Komik ist letztere Frage sicherlich nicht zutreffend, wenn man beispielsweise diejenigen Witze berücksichtigt, deren Funktionieren vom Verweigern der Pointe abhängt.

Hiermit wird bereits angedeutet, dass weitere Dimensionen der Komik unberücksichtigt bleiben. Komik kann auch auf der Ebene des semantisch-propositional Gesagten ablaufen, sie kann inhaltsbezogen oder aufgrund einer Verweisstruktur wirken, sich formaler Iterationen bedienen etc. und dabei überhaupt nicht performativ sein. Performanz ist somit gar nicht ausschlaggebend für eine Vielzahl komischer Phänomene.

An einigen Stellen scheint Ihre Verwendung von „Regelverstoß“ (≡Unglücksfall?) und „Rahmenbruch“ nahezu koextensiv zu sein. Diese begriffliche Unschärfe lässt auch das Verhältnis von Sprechakttheorie und Performanztheorie sowie eine genauere Positionierung von Goffmans Rahmentheorie im Dunkeln, hierbei besteht noch Klärungsbedarf.

Unverständlich ist mir auch Ihre Kritik geblieben, die bemängelt, die Sprechakttheorie lasse „korporale Kontexte“ unberücksichtigt und sei auf diese zu erweitern. Der Begriff „korporal“ scheint von Ihnen in mehr als einer Verwendungsweise gebraucht zu werden, darüber hinaus  stellen Sie uns aber kein besseres Klassifikationsschema zur Verfügung, das man bei einer derartigen Kritik erwarten würde.

 

4.2.2 Theoretische Desiderate

Ihre zentrale These ist mit der Verwendung von „sobald“ statt „gdw“ undeutlich (siehe Kriterium (iv)) und hält gemäß meines Tests in 3.1 in weniger als der Hälfte der Fälle, was sie verspricht. Ähnlich verhält es sich mit Hypothese (i).

Auch dem Adäquatheitskriterium könnte meiner Ansicht nach noch besser entsprochen werden: Nicht alle Witze und schon gar nicht der noch weitere Bereich der Komik erzeugen ihre komische Wirkung performativ. Selbst bei einem Zusammenspiel von performativen und nicht performativen Aspekten würde eine Beschränkung einer Komiktheorie auf einen der existierenden Performanzbegriffe die Angemessenheit der Beschreibung verzerren. Rein textbasierte Komik könnte beispielsweise gar nicht erklärt werden.

Dass auch die Erklärungsmächtigkeit Ihrer Theorie relativ klein ist, soll mein von mir so genanntes destruktives Argument verdeutlichen:

 

Destruktives Argument

(1) Eine Einschränkung des Gegenstandsbereichs führt zur Einschränkung der Erklärungsmächtigkeit einer Theorie.

(1’) In Ihrem Fall liegt eine Einschränkung auf Sprechakte vor; Komik ist aber auch bei Bisoziationen zwischen anderen Ebenen möglich.

(2) Der performative Aspekt ist nur ein Teilaspekt der Komik.

(3) Eine performative Theorie kann deshalb das Phänomen der Komik nicht erschöpfend erfassen.

 

4.3 Was die vorgestellte Theorie (noch) nicht erfüllt

Die Bedingungen für den in (1), (7) und (9) angenommenen  Spezialfall des Regelverstoßes stehen noch aus.

 

5. Mögliche Auswege

5.1 Als performative Theorie des Witzes könnten Ihre Vorschläge den Witz als Gattung besser erklären. Der „Nachteil“ dieser Eingrenzung bestünde im engen Gegenstandsbereich der Theorie, andererseits könnte ihr Vorteil im gegebenenfalls besser erfüllten Adäquatheitskriterium liegen.

5.2 Ein Ausbau der Theorie im Hinblick auf die exakte Definition des für Komik konstitutiven Regelverstoßes würde die in 4.3 vorgebrachte Kritik entkräften. Er wäre auch dann noch sinnvoll, wenn der zu bestimmende Regelverstoß sich alleinig auf den Witz bezöge, da hierdurch ein Analyseinstrument ähnlich der Searleschen Versprechensanalyse gewonnen würde, wenngleich sich dieser Gewinn ausschließlich unter den in 5.3 angedeuteten Geltungsbereich  subsumieren ließe.

5.3 Umbau der Theorie: Sie könnten die allgemeinere und vielseitiger anwendbare Inkongruenz zum Paradigma erheben und Ihr Theoriekonzept mit eine präzisere Definition von Komik anreichern.

 

6. Ein konstruktiver Vorschlag

 

In einem abschließenden Plädoyer möchte ich mich für den in 5.3 präsentierten Ausweg aussprechen. Eine Inkongruenztheorie der Komik (IK) hätte den Vorteil, dass der formale Begriff der Inkongruenz auf semantische, pragmatische, die Textgestalt betreffende und intermediale Phänomene (z. B. Text-Bild-Relation) gleichermaßen anwendbar ist. Dadurch können wesentlich mehr Phänomene erfasst werden als mit der bisherigen Theoriegestalt.

In einem weiteren Schritt könnten Sie die Möglichkeiten ausloten, inwiefern eine Kombination mit anderen Theorien, die Inkongruenzen beschreiben und erklären, angebracht ist.

Interessant ist es meiner Auffassung nach auch, die Kontextbedingungen zu untersuchen und Kontexttheorien heranzuziehen, die eine Vielfalt der komischer Fallszenarien ermöglichen, so dass eine Definition von Komik in der Art, wie Sie es in Ihrer Hauptthese versuchen, so sehr erschwert wird.  

Im Zuge einer Strategie der Gegenstandserweiterung könnten Sie letztlich aus den vorhandenen Komiktheorien einen Begriff auswählen, der Ihrem Vorhaben am ehesten gerecht wird (z. B. von Noël Carroll, Humour, in: Gregory Currie (Hrsg.): Arts and Minds, Oxford, 2004, S. 344-365).

 



[1] Uwe Wirth: Das Komische und seine performativen Verkörperungsbedingungen, S. 9.

[2] Uwe Wirth: Das Komische und seine performativen Verkörperungsbedingungen, S. 9.