Simone Winko
Käte-Hamburger-Preis |
Der „Käte-Hamburger-Preis für die beste Publikation vor der Dissertation“ wurde von 2011 bis 2014 für besonders gute Veröffentlichungen von Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern im Fach Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Göttingen vergeben. Das Preisgeld stammte aus einem Teil des KISSWIN-Preises für besonders gute Doktorandenbetreuung 2010.
Ausgangspunkt für die Gründung des Preises war die Überlegung, dass sich die Anforderungen an das „Publikationsverhalten“ von Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern in den letzten Jahren auch in den Geisteswissenschaften grundlegend geändert haben: Wer eine wissenschaftliche Laufbahn anstrebt, sollte mittlerweile auch in den „langsameren“ geisteswissenschaftlichen Fächern schon vor der Abgabe der Dissertation mit Forschungsbeiträgen in die akademische Öffentlichkeit treten. So lautet ein Ergebnis der Studie „Publikationsverhalten in unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen. Beiträge zur Beurteilung von Forschungsleistungen“ (Humboldt-Stiftung 2009).
Unter dieser Voraussetzung sollte der ausgeschriebene Preis sowohl Anreiz für Doktorandinnen und Doktoranden der Neueren deutschen Literaturwissenschaft sein, schon während der Arbeit an der Dissertation einen Zeitschriftenartikel oder einen Beitrag in einem Sammelband zu publizieren, als auch ein Ansporn, dabei nicht auf Quantität, sondern auf Qualität zu setzen: Prämiert wurde die beste Veröffentlichung vor dem Fertigstellen der Dissertation. Zentrale Kriterien der Bewertung waren dabei ein deutlicher Gewinn für die literaturwissenschaftliche Forschung, theoretische und methodische Konsistenz sowie argumentative Schlüssigkeit, nicht jedoch eine bestimmte theoretische oder historische Ausrichtung der eingesandten Beiträge. Ziel war die Auszeichnung und Förderung guter literaturwissenschaftlicher Praxis schon vor der akademischen Doktorprüfung.
Bewerben konnten sich alle in Göttingen eingeschriebenen Doktorandinnen und Doktoranden im Fach Neuere deutsche Literaturwissenschaft mit einem wissenschaftlichen Beitrag zu einer Fachzeitschrift oder einem Sammelband, den sie (1) in den letzten zwei Jahren vor der Ausschreibung veröffentlicht oder (2) als publikationsreifes Manuskript vorliegen hatten (der Beitrag brauchte also noch nicht veröffentlicht zu sein). Eingereicht werden konnten nur unselbständig erscheinende Beiträge, keine Buchmanuskripte. Selbstbewerbungen waren ebenso möglich, wie Beiträge anderer Doktorandinnen und Doktoranden vorgeschlagen werden können. Die Vorschläge wurden gesammelt, anonymisiert und von einer Jury (Dr. Matthias Beilein, Dr. Claudia Hillebrandt, Prof. Dr. Simone Winko) bewertet und verglichen.
Preisträgerinnen und Preisträger
Janet Boatin: „Statt dass es auf der ganzen Welt
einfach nur einen verbindlichen Ort gäbe, wohleingerichtet zwischen
zwei Buchdeckeln am besten“. Dietmar Daths popintellektuelle Kritik
(2011)
Der besonders lesenswerte Aufsatz widmet sich einem noch wenig
erschlossenen Werk, kann sich daher kaum auf vorliegende Forschung
stützen und stellt schon deswegen, aber auch wegen seines Ansatzes eine
eigenständige Leistung dar. Er bietet nicht nur eine
literaturwissenschaftliche Analyse zweier Romane Dietmar Daths und der
Position des Autors als zugleich linker und popkultureller
Intellektueller, sondern liefert zudem einen eigenen Beitrag zur
aktuellen Zeitdiagnose. Der Beitrag ist stilistisch originell, anregend
und mit Esprit geschrieben; seine im positiven Sinne essayistischen
Qualitäten wurden von der Jury besonders hervorgehoben.
Philipp Böttcher: Tieck und seine Verleger
(2011)
Mit dem Aufsatz liegt ein informativer, gut geschriebener
Handbuchartikel vor, der eine solide sozial- und mediengeschichtliche
Rekonstruktion seines Gegenstandes präsentiert. Tiecks Verhältnis zu
seinen Verlegern wird mit Blick auf die Verlagslandschaft der Zeit und
die Bedingungen der Produktion und Distribution von Literatur
kenntnisreich entfaltet. Dabei versteht es der Verfasser, seinen
textsortengemäß faktenlastigen Gegenstand auf eine besonders
anschauliche und anregende Weise zu vermitteln. Die Anforderungen der
Textsorte ‚Handbuchartikel’ werden sehr gut erfüllt, die erforderliche
breite Aufarbeitung von Forschungsergebnissen wird mit aktuellen
Positionen der Autordebatten verbunden und in entsprechender
Terminologie präsentiert.
Jan Borkowski / Philipp Heine: Ziele der
Literaturgeschichtsschreibung (2013)
Der ausgezeichnet recherchierte und materialreiche Aufsatz liefert
einen wertvollen Beitrag zur aktuellen Debatte über die
(Un-)Möglichkeit der Literaturgeschichtsschreibung, indem er sich eines
Themas, das trotz seiner hohen Relevanz bislang nicht bearbeitet worden
ist, auf systematische Weise annimmt: Er untersucht vorliegende Ansätze
der Literaturgeschichtsschreibung nach ihren Zielen und erstellt zum
ersten Mal eine typologisierende Übersicht über die Vielfalt
literaturhistoriographischer Ziele, auch in ihrem Zusammenhang mit
literaturtheoretischen Prämissen. Der Beitrag verbindet philologische
Sorgfalt der Recherche, systematische Präzision und Klarheit der
Argumentation. Die Typologie ermöglicht die dringend erforderliche
Differenzierung der Literaturgeschichtsdebatte.
Stefan Descher: Natur in Kleists Erzählungen.
Eine Typologie (2013)
Der klar geschriebene und kenntnisreiche Beitrag erstellt zum ersten
Mal eine umfassende Typologie der zahlreichen unterschiedlichen
Bezugnahmen auf und Darstellungen von Natur in Kleists Erzählungen. Er
rekonstruiert die einschlägigen Passagen in Kleists Erzähltexten sehr
genau, leitet die Typologie überzeugend her und belegt sie gut. Mit
seinem anspruchsvollen Anliegen leistet der Aufsatz einen wichtigen,
erhellenden und anschlussfähigen Beitrag zur Kleistforschung.
Anna Fenner: Trauergestaltung in Nelly Sachs'
Elegien auf den Tod meiner Mutter und Marie Luise Kaschnitz' Dein
Schweigen - meine Stimme. Ein Vergleich (2013)
Der dichte, kenntnisreiche Beitrag vergleicht Sachs‘ und Kaschnitz‘
Gedichtzyklen unter der Perspektive der Darstellung und des Ausdrucks
von Trauer und zeigt erhellende Gemeinsamkeiten und Unterschiede
zwischen beiden Autorinnen auf. Seine besondere Stärke liegt in der
konzentrierten, präzisen Gedichtanalyse und -interpretation. Deren
textnahes und zugleich kontextualisierendes Vorgehen ist methodisch
geleitet, handwerklich solide und erbringt überzeugende,
literarhistorisch und autorphilologisch innovative Ergebnisse. Auch
stilistisch ist der Beitrag ausgesprochen gelungen.
Jan Werner: Fiktion, Wahrheit, Referenz
(Sonderpreis) (2013)
Der Beitrag behandelt ein literaturwissenschaftlich relevantes Thema
von einem philosophischen Standpunkt aus: Es geht ihm um die Frage, ob
die Rede in fiktionaler Literatur, aber auch die Rede über fiktionale
Literatur wahr sein kann. Beide Fragen sind für die
Literaturwissenschaft von zentraler Bedeutung. Der Beitrag
rekonstruiert die Probleme einer diese Fragen umfassenden „Logik der
Fiktion“ auf systematische Weise, diskutiert sie minutiös und arbeitet
die Bezüge zu einer Semantik und Metaphysik der Interpretation heraus.
Der Beitrag besticht durch seine terminologische und argumentative
Präzision und seine umfassende Einarbeitung der umfangreichen Debatte
zum behandelten Themenfeld.